Der Sternenwärter von Hohenwutow & andere Kuriosa

oder: Was auch 30 Jahre später noch gärt

Es ist ungemein motivierend, wenn man morgens die Geschäftstelle betritt und auf dem Anrufbeantworter, auf dem Faxgerät oder im Briefkasten Nachrichten vorfindet, die keine sind.

Immer noch höchst aktuell ist etwa diese:

Früher kamen diese Kommentare vereinzelt bei uns an, heute treffen sich Autor*innen in den sozialen Medien und vernetzen sich.

Ich habe einen ganzen Ordner mit diesen kuriosen Bastelarbeiten, anonymen Schreiben, schlechten Witzen, Morddrohungen und Verirrungen aufbewahrt, weil ich dazu mal ein Buch schreiben wollte. Dazu kam es bislang nicht. Nun kann ich wenigstens mal in einem kleinen Artikel humorvoll auf meine Zeit als Landesgeschäftsführerin (1994 – 2006) zurückblicken, völlig assoziativ und neben der Spur. Denn eigentlich ging es zu meiner Zeit darum, die Geschäftsstelle und den Landesverband zu professionalisieren.

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Zu den Bastelarbeiten gehört zum Beispiel die Rücksendung eines teilweise zerschnipselten und neu zusammengesetzten Wahlkampfflyers aus 1994, in dem ein Kandidat ganz schnell mal hinter Gitterstäbe verfrachtet wurde, eine Kandidatin auf einen Galgen blickt und auf dem Antwortabschnitt weitere Ankreuzmöglichkeiten geschaffen wurden. Diese Bastelarbeit war genau so anonym wie die nach dem Wahlkampf eingegangene nationalsozialistische Grußbotschaft, die sich eigentlich an Ralph Giordano richtete und neben schweren Beleidigungen auch noch erwähnte, er dürfe 24 Stunden lang „keinen Alkohol und keinen Ersatzessig zu sich nehmen“, weil dies eine Explosion verhindere. Unterschrift allen Ernstes: „Familie Nazi“. Hätten wir diese Verirrungen ernster nehmen müssen?

„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ | Bertolt Brecht

Schon vor über 30 Jahren, als die Asylgesetze diskutiert und geändert wurden, kam es nach dem Auftakt von Ausschreitungen in Hoyerswerda (1991) zu einer Kette von Anschlägen: Mölln (1992), Solingen (1993), Lübeck (1996). Letzterer ist bis heute nicht juristisch aufgearbeitet. Die Spuren verlieren sich in Grevesmühlen. Ja, wir hätten noch entschiedener Haltung zeigen müssen. Wir haben uns mit Autobahnplanung beschäftigt, ein ÖPNV-Gesetz mittels Volksinitiative in den Landtag eingebracht1, den Transrapid bekämpft. Wir haben Gutachten gegen Gen-Kartoffeln finanziert und herausgegeben, gegen zu große zentrale Kläranlagen votiert. Die Sicherheit im Zwischenlager in Lubmin war ein ebenso wirklich wichtiges Thema wie die Grundwassersituation unter Europas größter Müllkippe, der Deponie auf dem Ihlenberg bei Schönberg. Den negativen Gefühlen, die bei uns ankamen, konnten wir alleine aus personellen Ressourcen heraus gar nicht konsequent begegnen. Und so pflanzten sie sich fort…

Was ist denn heute professioneller?

Ganz klar, die Pressearbeit. Die Landesgeschäftsstelle verfügte über ein großes Faxgerät, in das man auch Verteiler einprogrammieren konnte. Alles, was an die Medien herausgegeben werden sollte, musste also an meinem Schreibtisch vorbei. Und ich habe Zensur ausgeübt. Ich gebe es zu. Natürlich habe ich mich mit Autor*innen über Überschriften wie „Hände weg von den Frauenbeauftragten!“ oder „Sandstürme hausgemacht“ mehr oder weniger erbittert gestritten. Im ersten Fall ging es um Mittelkürzungen. Zum Glück wurde der Witz verstanden. Im zweiten Fall ging es um Bodenerosion wegen fehlender Hecken und langer Trockenheit. Diese Überschrift ging raus, aber die Pressemitteilung wurde nicht aufgegriffen.

In einem anderen Fall erhielt ich ein achtseitiges (!) bis zum Rand vollgedrucktes Schreiben mit eingeklebten kleingedruckten Tabellen und Zitaten, die offensichtlich aus anderen Medien ausgeschnitten waren. Da der Text auch unterschiedliche Schriftarten enthielt und unterschiedliche Textbreiten aufwies, wusste ich: Das ist auch schon alles zusammengekl…. Ich habe mich auch aus inhaltlichen Gründen – es ging um geforderte Enteignungen – geweigert, diese Pressemitteilung herauszuschicken und mir eine ewige Feindschaft eingehandelt.

Die neue Technik des Anrufbeantworters, das Sorgentelefon des Landesverbandes

Früher waren Anrufbeantworter (AB) noch kleine Kassettenrecorder, die zwischen Telefondose und Telefon geklemmt, ansprangen (oder nicht), wenn niemand den Hörer abnahm. Außer dem Problem, dass sich auch mal Bandsalat entwickeln konnte, konnte man zu Beginn dieser Technik fast endlos draufsprechen – bis eben das Band voll war. Und wir konnten uns nur alte Technik leisten… Man wusste also nie, ob nicht doch noch eine wichtige Nachricht nach einer längeren uninteressanten drauf war. Also habe ich geduldig alles abgehört: Lallende Stimmen, die an der Welt verzeifelten – natürlich waren schon damals an allem die Grünen schuld – , Menschen, die ohne Rückrufangaben nach der Telefonnummer des Kreisverbandes Uecker-Randow fragten. Tja, es gab kein Internet damals. Gut, wenn ich die Stimme auf dem AB erkannt habe. Schlecht, wenn der letzte Satz des Anrufers „Na gut, dann bringe ich mich eben um. Klick.“ war. So etwas wie Rufnummernverfolgung gab es nicht.

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Und dann war da der legendäre Anruf vom „Sternenwärter von Hohenwutow“, der fortan bei jeder Weihnachtsfeier der Landesgeschäftsstelle zu später Stunde abgespielt wurde. Der besagte Sternenwärter war kein Sternenwärter, wie er meinte, er wohne nur in der Sternwarte. Seine Telefonnummer sei 453 „Wir ham nur so kurze Nummern. Ich wollte mal nachfragen. Wenn wir nachher heute Abend nach Grepschat – das is unse Gaststätte – hingehen, zu de Vereinigung mit de CDU, da wollte ich mich mal erkundijen wegen de programmatische Themendisziplinierung vonne Mitglieder.“ Leider haben wir nie herausgefunden, wer das war. Aber wir haben Tränen gelacht (und viel CDU in VP).

Politik kann auch Spaß machen

Es war gang und gäbe, Geld von uns zu fordern. Manche lieferten Papierkörbe à 80 Euro und Geschirrhandtücher à 30 Euro das Stück aus einer so genannten Behindertenproduktion. Wenn man nicht bestellen wollte, wurde man telefonisch beschimpft, es werde eine Kampagne gefahren werden, die dazu aufrufen werde, nie wieder grün zu wählen. Was seien wir für herzlose Menschen …

Zum Lachen oder zu Heulen: Ein Kollege von mir hat bestellt. Der Papierkorb war nützlich.

30 Jahre bündnisgrüne Politik: Da kommen schon eine Menge Geschichten zusammen.

Fortsetzung folgt…

Lesen Sie hier demnächst: OB Kwaschik zeigt de Swaaf und Seemann-Katz an: Beleidigung der Stadt Schwerin. – Strafbefehl über je 1.300.- DM