Von #MeToo über #NotMe zu #OurResponsibility

Da sitzt Terry Reintke mit dem mittlerweile weit bekannten Hashtag #metoo in einer Debatte der EU, und Michel Reimon (Österreich) neben ihr mit dem Hashtag #OurResponsibility.
Sehr gut! Einen #Aufschrei der Frauen hatten wir schon mal. Jetzt muss Mann ran.

von Frederike

metoo
In der Masse, in Solidarität, liegt Macht.

Wer als weiblich identifiziert durchs Leben spaziert, weiß sehr gut, dass man alle paar Meter über toxische Maskulinität stolpert. Unter uns haben wir solche Geschichten schon lange ausgetauscht – immer mit der “Tatsache” im Hintergrund, dass sich das nicht ändern wird, und wir den Staffellauf nunmal mit höheren Sprüngen bewältigen müssen.

Ich weiß noch sehr gut, wie schockiert mein Vater schwieg als ich meinte, vielen Dank dass er mir beigebracht hat, wie man selbstbewusst nachts durch einen Park geht – ohne Opferhaltung, damit man nicht als solches ausgesucht wird – aber dass er damit nur dafür gesorgt hat, dass eine andere ausgesucht wurde.

Das eigentliche Problem wird durch Verhaltensanpassungen von Frauen und Mädchen nicht gelöst.

Bei all den Geschichten, die Celebrities in den letzten Wochen erzählt haben, fallen immer wieder diese Strategien auf, die für uns selbstverständlich sind: Harvey Weinstein bietet dir eine Tour durch die Küche an? Scheint okay zu sein, da werden ja schließlich Leute sein. Aber die Freundin, die mit auf die Party kam, sagt trotzdem: Wenn du in einer halben Stunde nicht wieder da bist, schlage ich Alarm.

Völlig normal: Der ständige Ausnahmezustand

Oh, Weinstein lädt dich zu einem Meeting ins Hotel ein, in seine Suite? Etwas merkwürdig, vielleicht lieber nicht. Ach, eine weibliche Assistentin von ihm ist auch dabei? Alles klar, dann geht das.
Und genau diese Strategien hat Weinstein ausgenutzt. Immer schön eine andere Frau dabei haben, und die dann weg schicken.

Das ist die Krux: Alle Strategien, die Frauen entwickeln, um nicht belästigt, begrabscht, vergewaltigt zu werden, sie alle greifen nicht das eigentliche Problem an. Dieses Problem kann man, wenn man es einmal begriffen hat, überall sehen – und hören.

Worte haben auch hier eine gewaltige Macht.

Wir sagen: Soundsoviele Frauen “wurden letztes Jahr vergewaltigt”. Nicht nur ignoriert dies die Opfer, die keine Frauen waren, es streicht auch die Täter aus dem Geschehen. Frauen werden belästigt, es gab Übergriffe an Frauen, minderjährige Mädchen werden schwanger.
Von ganz alleine, jedenfalls grammatikalisch.

Der Aktivist und Filmemacher Jackson Katz hat hier den Nagel auf den Kopf getroffen:

“Even the term ‘violence against women’ is problematic…It’s a bad thing that happens to women, but when you look at that term, ‘violence against women,’ nobody is doing it to them. It just happens to them…Men aren’t even a part of it.”

Gewalt gegen Frauen – noch so eine Formulierung, die Männer aus dem Geschehen streicht.

To Do Nummer 1: Wir müssen die Sprache ändern, mit der wir uns über diese Themen unterhalten

Noch einmal: Männer sind nicht inherent böse oder gewalttätig.
Dass das aktuelle Bild von Männlichkeit jedoch so aussieht, ist gut als “toxische Maskulinität” benannt. Und diese vergiftet nicht nur das Verhältnis der klassischen Geschlechter, es betoniert deren Definitionen auch unsinnig ein, und legt Forderungen auf Männer, die es unter anderem männlichen Opfern erst recht schwer machen, sich zu äußern.

UPDATE: Unterdessen erheben sich auch immer mehr männliche Schauspieler in Hollywood um teilweise schon seit Jahren bekannte Vorfälle von Kindesmishandlung endlich aufzuklären und Konsequenzen zu fordern.

Terry Crews, Bodybuilder und Schauspieler, hat es getan, hat seine eigene #metoo-Geschichte erzählt.  Einerseits ist er ein sehr großer, breiter, sehr starker Mann – wer den Kriterien von Männlichkeit entspricht, hat es hier etwas einfacher. Andererseits spielt bei ihm wiederum die Hautfarbe mit rein. Schwarze Frauen aber auch Männer haben nun einmal noch den zusätzlichen Faktor, dass ihre Körper als Ware, Objekte, Besitz betrachtet wurden.

Oh moment, Achtung, nein: Wir Weiße haben Schwarze über Generationen hinweg und lang bis ins gerad erst vergangene Jahrhundert wie Waren, Objekte, Besitz behandelt.
Täter sprachlich ins Geschehen gebracht. Etwas besser.

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Terry Crews

Auch bei lässigen Bemerkungen und Witzen kann man ansetzen. Witze normalisieren Verhalten.
Vergewaltiger, die Witze über Vergewaltigungen etc. hört, können sich in diesem sozialen Gefüge wohlig sicher fühlen mit ihrem Verhalten.

Eine sehr schöne Strategie dagegen ist: “Den check ich nicht. Was ist daran witzig, erklär mal.”

Wenn aber z.B. Christian Gesellmann im ZEITmagazin einerseits sagt: “…ich finde, ich habe eine Verpflichtung, dass so etwas in Zukunft nicht mehr passiert.”

Aber direkt danach, als letzten Satz bringt:
“Dafür wünsche ich mir aber auch eins: dass Frauen Männern öfter sagen, wenn sie Idioten sind.”
Da werde ich reichlich ärgerlich.

Wenn Frauen sich weigern, wehren, äußern, wird ihnen nicht geglaubt und/oder die Situation wird gewalttätig. Nicht immer, aber viel zu oft, oft genug für ein klares Muster. Berichte gibt es tausende, und sie alle sind gruselig.

Und ich kann’s direkt hören:

Aber wenn wir allen Anschuldigungen einfach glauben, dann kommen ja all die Falschmeldungen durch!

Lasst uns da mal direkt klarstellen: Die Anzahl der Falschmeldungen ist gering, und was als “Falschmeldung” deklariert wird, ist oft genug nur aus diversen Gründen gerichtlich nicht durchgekommen. Das bedeutet nicht, dass tatsächlich gelogen wurde.

To Do Nummer 2 ist also: Opfern zuhören und ihnen glauben

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Quelle: The Enliven Project / Paul Pierson

Da sind wir jedoch weiterhin bei Frauen, nicht wahr, und Männer können zuhören, traurig nicken, hashtag not me, und wenn sie Helden sind, eingreifen, wenn sie etwas sehen: Grabscher in der Bahn, manipulierte Drinks in der Bar, schlicht unwitzige Witze.
Was ja nicht falsch ist, sondern ein wichtiger Punkt auf der To Do Liste!

To Do Nummer 3: See something = do something

Soweit, so gut. Aber um das zugrunde liegende Problem zu greifen, müssen Männer anfangen, unter sich zu reden. Über Macho-Gehabe und Wegsehen, über eigene Erfahrungen und Geschichten, die Frauen ihnen erzählt haben, und darüber, wer sie sein wollen.

To Do Nummer 4: Ein neues Selbstverständnis für Männer

Noch vor einigen Jahren hätte ich gesagt: Ein neues Männerbild. Aber man sollte hoffen, dass wir anhand der neuen Erkenntnisse zu Gender vielleicht sogar noch weiter sind. Dürfen Männer und Jungs mal bitte sein, wer und was sie am jeweiligen Tag sein wollen?

Und ich gebe gerne zu, es würde mir unheimlich gut gefallen, mehr Männer mit Eyeliner herumlaufen zu sehen. Meiner Meinung nach steht das einfach jedem.

Aber woran soll man sich als KerrRRRrrrl denn festhalten, wenn “Sei kein Weichei” die einzige Orientierung war, die man mitbekam – nein, die pinken Ü-Eier sind nicht für dich, mach dich nicht peinlich! – und gleichzeitig aber das ganze alte, frei erfundene Konstrukt von Kernfamilie und Ernährer/Beschützer zusammenbricht…

Gesellmann schreibt, “vielleicht hat er es einfach nicht geschnallt”, das Problem. Aber es ist viel unheimlicher: Ginge es nur um Idioten wie ihn (das meine ich jetzt in seinem eher liebevollen Tonfall), dann könnte die Frauenwelt ohne weiteres Schultern boxen und Idioten auf ihre Idiotie aufmerksam machen.

Aber Männer wie Trump “they let you do anything – grab them by the pussy” und Weinstein mit seinen Alibi-Assistentinnen wissen ganz genau was sie tun, und haben ganz genau verstanden, dass sie eine Machtposition haben, die gesellschaftlich nicht in Frage gestellt wird.

Frauen wird nicht geglaubt, Männer schauen weg

Wenn Brock Turners Sportkarriere beweint wird, obwohl er nur 6 Monate in Haft war, und das als schlimmer thematisiert wird als die ruinierte psychische und emotionale Sicherheit seines Vergwaltigungs-Opfers, das bis ans Ende ihrer Tage unter dieser Verletzung leiden wird…
Als wäre es ihre Schuld, weil sie ihn gemeldet hat, und nicht seine Entscheidung zur kriminellen Tat, die hier (viel zu geringe) Konsequenzen hat.

Wenn jedes einzelne Mal nach einer Vergewaltigung die Frage im Raum steht: Was hatte sie denn an…
Entschuldigt bitte, aber ich sollte splitternackt durch die Innenstadt spazieren können, ohne dass notgeile Oger über mich herfallen. Weder bin ich Beute, noch sind Männer Monster, dankeschön.
Klar, man sollte mich vielleicht sanft in einen Mantel wickeln und freundlich zur nächsten Anstalt begleiten. Aber Vergewaltigung hat schlicht keine Entschuldigung.

Wenn jemand wie Trump zum Präsidenten gewählt wird…

Nein, Frauen können nicht auch noch die Verantwortung bekommen, diesen Mist aufzuräumen.

Jetzt müssen mal die in der Machtposition ran

Denn auch wenn die Hashtags Englisch sind und ich ganz viele Englische Seiten verlinke, so lange eine Partei in Deutschland derartig unverfroren anti-feministische Forderungen im Programm hat, haben wir eine echte Gleichberechtigung, geschweige denn ausgeglichene Machtverteilung noch lang nicht erreicht.

  1. Die Unterhaltung ändern.
  2. Opfern zuhören und ihnen glauben.
  3. See something = do something.

 

Jungs, redet miteinander, und klöppelt zusammen, wer ihr in Zukunft sein wollt.

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