Weicheier vor!

Also jetzt im Sinne von Warmduscher. Frauenversteher. Schattenparker, vielleicht. Ich schließe mich hiermit dem Plädoyer an, diese Bezeichnungen wieder zu Heldentaten zu erklären.

Mein Vater jedenfalls will “Weichei” wieder positiv besetzen, und nutzt den Begriff, um sich mit anderen „Weicheiern“ zu solidarisieren.
Fand ich erst nicht so gut, aber “Queer” war auch mal ein Schimpfwort, und was bin ich jetzt dankbar, dass ich dieses Wort für mich benutzen kann!

von Frederike

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Außerdem ist das ja schon wirklich sehr passend: “Der hat halt so richtig Eier in der Hose” wird gesagt, wenn ein Mann ganz besonders gut den Erwartungen des Männer-Rollenbildes entspricht.
Hart, stark, gefühllos.

Dabei wissen wir alle, wie empfindlich Hoden eigentlich sind, ja? Ich jedenfalls fühl mich immer noch schuldig für diesen Baseball in der Mittelstufe, der arme Kerl musste sich sogar übergeben…

Gerade in der aktuellen Sexismus-Debatte wird dieses falsche Bild von Männern wieder sehr brisant, und es stellt sich mit neuem Nachdruck die Frage:

Wann ist ein Mann ein Mann?

Bernd Ulrich hat in seiner viel diskutierten Replik zu Jens Jessen in der Zeit versucht zu beantworten, wo Mann sich in den feministischen Diskurs einbringen könnte.

Dabei nahm er Jessens schiefe Argumente sehr lesenswert auseinander, nahm aber auch dessen Wut und Schmerz ernst:

„Wir sollen schon noch irgendwie männlich sein, damit wir jedenfalls für heterosexuell geneigte Frauen attraktiv sind – dürfen es aber nicht sein, weil alles Männliche jederzeit auch illegitim oder unpassend sein kann.“

Als Antwort auf diese paradoxe Anforderung schlug er vor: “Finesse, Versuch und Irrtum, Humor, dann und wann Blamage, oder gemeinsamer Kampf gegen Klischees.” Und eben nicht: das Leben anschreien.

Korrekt erkennt er an dieser Stelle aber auch die Frage, wieso das denn überhaupt sein muss, sich dieser Forderung nach einer Neuverhandlung von Männlichkeit überhaupt zu stellen. Er als Alt-Feminist ist da glaube ich ein ganz großartiges Beispiel für ein Unbehagen, das bis zu Wut und Schmerz gehen kann, und viele Männer durchdringt:
Ich bin doch schon guter Feminist, was wollt ihr denn noch alles von mir?! Geht es jetzt nicht nur noch um Feinheiten, Übertreibungen gar?

Ulrich erkennt das aus heutiger Sicht als “eine absichtsvoll geschönte Sicht auf den Stand der Geschlechterkämpfe”, der er auch einmal erlegen war. Dazu kommt, die “Veteranen-Falle”:

Jedes Mal, wenn ein Ziel des Feminismus erreicht wird, wird der Zielpfosten weiter nach hinten verlegt, und wo es einmal um Menschen- und Bürgerrechte ging, geht es nun um so viel subtilere, schwerer zu lösende Probleme.

Mann kann scheinbar nicht gewinnen in diesem Wettrennen

Ulrich formuliert dazu noch diese Angst aus:

„Wenn der Feminismus uns immer neue Anpassungen abverlangt, was bleibt dann eigentlich noch von unserer Männlichkeit übrig? Ab wie vielen Abstrichen ist da nichts mehr?“

Wie kommt man aus dieser Falle also heraus?

„Das hängt letztlich davon ab, wie wir unsere Männlichkeit begreifen. Wenn sie eine Art Natur darstellt, eine animalische Substanz, dann führen immer weitere Abstriche am Ende dazu, dass sie einzugehen droht wie der Steppenwolf in der Hundehütte. Dann helfen tatsächlich nur Flucht oder Notwehr. (…)
Der unschlagbare Vorteil daran (,wenn) Männlichkeit nicht nur gegeben ist, sondern auch gemacht, nicht nur Substanz, sondern auch Projekt, liegt natürlich darin, dass wir es in der Hand haben. Wir können an unserer Männlichkeit arbeiten, und „der“ Feminismus leistet seinen Beitrag dazu, er bestimmt uns nicht, sondern beeinflusst unsere Selbstbestimmung. Man kann ihn auch zurückweisen und muss das dürfen, aber man bringt sich damit um viele Möglichkeiten und Ideen.
Männlichkeit so zu meditieren, das schafft Raum für Neugier auf sich selbst, auf die nächsten Metamorphosen des Mannseins.“

Die Idee vom Steppenwolf also loslassen, alles klar!

David Fincher in einem Interview: „Die Rezeption von Fight Club war anders als erhofft, auf jeden Fall anders als erwartet.“

Die alten Rollenbilder haben allerdings die unangenehme Eigenschaft, sich sehr gut selbst zu bestätigen, selbst dort, wo sie eigentlich angegriffen werden sollen.
“Fight Club” zum Beispiel war eigentlich satirisch gedacht, eine Parabel darüber, was passiert, wenn toxische Ideale von Männlichkeit zu weit gehen, und einen Mann regelrecht zerreißen.

„Ich dachte, die Leute würden verstehen, dass er… satirisch gemeint war.“

Der Film wird jedoch meist als Verherrlichung genau dieser Ideale gelesen. Manch einer will ihn sogar nachspielen, versucht junge Männer im Fight-Club-Stil für ein Silicon Valley Startup zu rekrutieren, und wird dann abgewürgt, weil klar wird, dass es nicht um ein Startup, sondern um einen paramilitärischen Personenkult ging. Huiii.

Die Prägung von Rollenbildern findet sich in der Popkultur immer wieder. Und nicht nur dort werden Rollen gespielt.

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Maskulinität ist genau so performant wie Femininität

Das bedeutet: Auch Männer fühlen sich konstant beobachtet. Die Erwartungen, die an sie gestellt werden, sind zwar völlig anders als die an Frauen, aber genauso geschickt verdeckt, subtil und überall um uns herum, und wollen erfüllt werden.

Die alten Rollenbilder haben mit der “Natur des Mannes” dabei genau so viel zu tun wie ein Burger mit der Natur des Rindes.

Warum verhackstücken sich manche also völlig, um ihnen zu genügen?

Der Begriff des “Incels”, der seit der Attacke von Toronto langsam überall bekannt wird, gibt hierzu eine Spur:

“Involuntarily celibvate” – unfreiwillig zölibatär. „Incels“ schließen sich zusammen, schüren gegenseitig ihre als gerecht empfundene Wut, und diese bricht sich dann Bahn, in Morden und anderen, ebenfalls alles andere als unbedeutenden Terrorakten.
Die Wut dieser Männer, die sich als Incel bezeichnen, ist also verankert darin, dass sie der festen Überzeugung sind, dass ihnen Sex zusteht. Sex mit einer Frau, die bestimmten Erwartungen zu entsprechen hat, die Feministinnen nur zu gut kennen, und schon lange bekämpfen.

Männer wollen also bloß Sex?

Jedenfalls hat sich so manch ein Fernsehmoderator doch nicht entblödet, zu Toronto den Kommentar abzugeben, dass die Attacke hätte verhindert werden können, wenn irgendeine Frau halt mal in den sauren Apfel gebissen hätte. (Also da weigere ich mich sogar, hinzulinken).

„Schuld hat der Feminismus.“

Für Incels ist Sex jedoch die einzige emotionale Intimität, die ihnen in Aussicht gestellt wurde. Wenn du Maskulinität nur gut genug performst, dich an alle Regeln deiner Rolle als Mann hälst, dann winkt dir am Ende: Eine feste Freundin.

Daher kommt auch das Phänomen der “Friendzone”, wenn Männer gedacht haben, man würde eindeutig aufs Bett zusteuern, und dann sagt die Frau etwas erstaunt: Ich seh dich eher als Freund…
In Freundschaft haben Männer aber keine Intimität zu finden, schon gar nicht emotionale. Das wäre ja noch schöner, wenn Männer sich gegenseitig emotional unterstützen würden! Dann sind sie ja gar keine isolierten Arbeitsmaschinen mehr, die man fernsteuern kann! Emotionen haben gefälligst unterdrückt zu werden, bis, ja bis am Ende die Belohnungsfreundin einen endlich den Kopf an ihrer Schulter anlehnen lässt, post-Koitus natürlich.

Wenn dieses Versprechen dann nicht eingehalten wird, dann ist die Sache ganz klar:

„Schuld hat der Feminismus.“

Wenn sich zu viele Frauen diesem Skript verweigern, dann bleiben ganz viele Jungs zurück, die fürchterlich unter den Erwartungen der toxischen Maskulinität gelitten haben, nie gelernt haben, mit ihren Emotionen sauber umzugehen, und dieser Schmerz kann dann nirgendwo hin. Nirgendwo hin als in Wut und Aggressivität, das einzige “erlaubte” Ventil.

Und dann kommen die Nazis und Versprechen: Alles wird wieder gut.

Rechte rekrutieren verletzte, wütende, in ihren Rollenvorstellungen gefangene junge Männer nicht erst seit Gamergate.

Aber das Tragische ist, dass, wer sich “Männer-Rechte-Aktivist” (MRA) nennt, Anti-Feminist ist.
Dabei bräuchte die Männerschaft dringend mehr Feministen in ihren Reihen.
Nur so als Beispiel: Dieses gruselige Klischee von “Der letzten Nacht in Freiheit” vor dem Hochzeitstag? Oder diese Topper auf der Hochzeitstorte, wo der Bräutigam eine Fußfessel hat, und sie den Schlüssel? Haha… ha…
so lustig…
Wie viele Männer haben geheiratet, weil die Frau gern wollte, weil man das so macht, weil, muss ja? Eigentlich: Weil sie nicht wussten, wie sie auch nur sagen sollen, dass sie sich noch nicht so weit fühlen, dass sie die ganze Institution Ehe nicht mögen oder ähnliches?
Und hey, wenn man sich dann in der Ehe unwohl fühlt, dann geht man halt fremd. Sieht man ja am aktuellen US-Präsidenten. Diskutiert wird, wo das Schweigegeld herkam, nicht, dass er seine Frau betrogen hat.

An dieser Stelle passt mal wieder der Standard-Disclaimer: Die Muster sind das Problem, nicht jeder einzelne individuelle Mann. Es sind auch nicht nur Männer, die diese Muster hochhalten, und auch nicht nur Heteros.

Aber es sind Männer, als Individuen, die ein neues Männerbild unter sich aushandeln müssen

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Was soll Mann also zu #metoo sagen? Vielleicht geht es nicht so sehr darum, was Mann Frau sagen soll, sondern welche Diskussion unter Männern verstärkt geführt werden sollte.

Im Video zu Janelle Monáe’s neuem Hit “Pynk”: Nicht jede Frau hat eine Vagina.

Hier hinkt der Feminismus hinterher. Aus guten Gründen: Frauen mussten erst einmal grundlegende Rechte bekommen, und selbst diese erreichten Minimalziele müssen wieder und wieder verteidigt werden.
Aber nebenbei hat Frau eben auch diskutiert, was von Weiblichkeit bleibt, wenn die verkrusteten Rollenvorstellungen aufgebrochen werden.

Diese Debatte ist noch lange nicht vorbei, aber sie ist weit verbreitet, schon ganz schön tief vorgedrungen, und hat eine Menge großartiger Früchte getragen.

Die Popkultur hat generell in letzter Zeit so einige interessante neue Vor- und Rollenbilder herausgebracht. Die Maskulinität von Mad Max hat zwar noch das alte Bild vom weiterziehenden Helden, der nach getaner Arbeit zum nächsten Abenteuer muss, statt Wurzeln schlagen und, tja, gärtnern zu dürfen.
Aber seine Männlichkeit ist zu keiner Zeit frauenfeindlich, im Gegenteil.

Finn und Poe in Star Wars, Steve aus Wonder Woman, Newt Scamander aus Fantastische Tierwesen, sie alle gehören zu einem neuen, großartigen Rollenvorbild:

Der „Soft Action Boy“

Im Marvel-Universum allein tummelt er sich gleich mehrfach: Thor und Steve Rogers mögen aussehen wie der klassischer Über-Mann, aber ihr Verhalten, gerade Frauen gegenüber, ist einfach nur angenehm frei von alten Mustern. Es hüpft ein ganz neuer Spiderman durch die Vororte, und der König von Wakanda ist umgeben von höchst kompetenten Frauen, auf deren Rat er hört.
Das ist tatsächlich revolutionär.

T’Challa wird sogar aufgefordert, sich von den Fehlern seines Vaters frei zu machen.
“Du darfst selbst entscheiden, was für ein König du sein wirst”, sagt seine (Ex-)Freundin.

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Du darfst selbst entscheiden, was für ein Mann du sein wirst, sagt Hollywood

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Das Schönheitsideal für Männer war zwar immer schon etwas weniger strikt als dass der Männer, aber da die bisherigen Beispiele diesem so krass entsprechen, auch noch ein Beispiel, dass an ihm kratzt: Winston Duke, der Schauspieler von M’Baku, hat eben nicht die völlig ungesunde Körperfett-Reduzierung, die den anderen diese Waschbrettbäuche geben. Das positive Feedback, dass er zu seinen oben-ohne-Szenen bekommen hat, habe sein Selbstvertrauen geheilt, sagt er. Und sicherlich den ein oder anderen Mann im Publikum etwas mehr entspannen lassen.

Die Schauspieler dieser neuen Männerrollen fallen sowieso immer mal wieder positiv auf.

Spidermans Tom Holland verweigert fröhlich Heteronormativitäten in diversen Interviews.
Und Chadwick Boseman (T’Challa) taucht zur MET Gala mit Glitter im Haar auf, und oh mein GOTT ist das KLASSE! Nicht nur großartig, weil Männern Glitter generell eher “verboten” ist, auch weil das Haar von Schwarzen erst seit neuestem so nachdrücklich gefeiert wird.

GLITTER! Ähem.

Gut, Hollywood nicht der einzige Impulsgeber für solche gesellschaftlichen Diskussionen, aber:

„Es gibt diesen neuen Trend auf Twitter, „sorglose-schwarze-Jungs-Ästhetik“, in der Männer, die traditionell maskulin aussehen, Blumen im Bart haben oder so. Ich bin froh, dass da erweitert wird, wie Männlichkeit aussieht. Aber ich wünschte, das ginge noch viel weiter.“

Die Impulse kommen auch aus anderen Richtungen

Die Universität von Texas (“UT”) hat eine eigene Kampagne gestartet, “MasculinUT”, mit Plakaten zu genau diesem Thema: Was alles Männlichkeit sein darf. Die Konservativen Kräfte in den USA sind völlig erschüttert – und welch Wunder, wie gesagt: Die alten Rollenbilder treiben ihnen ja Anhänger zu.

Die Male Feminists Europe haben eine schöne Seite, leider nicht auf Deutsch.

Männeraufbruch 2018” hat einen Kalenderbuch mit Impulsen zur Selbstfindung herausgegeben.

Pinkstinks hat eine ganze “Abteilung” für Männer im Feminismus, mit sehr spannenden Artikeln und Diskussionen.

Gibt es also schon Antworten? Wann ist ein Mann ein Mann?

Für Frauen war die Antwort irgendwann: Eine Frau ist eine Frau, wenn sie sich selbst so definieren will. Das hat an den gesellschaftlichen Erwartungen natürlich noch nicht genug gerüttelt.

Es gibt noch viel zu tun.

Aber Mut ist nicht, keine Angst zu haben. Mut ist, die Angst wahr und ernst zu nehmen, sie durch sich durch ziehen zu lassen, und dann trotzdem aktiv zu werden. (Bene Gesserit anyone?)

Mann kann stark sein, ohne brutal zu werden. Hart, ohne gefühllos zu sein. Beschützer aber nicht Kontroll-Instanz. Selbstbewusst statt arrogant.

Mann kann sein, was immer Mann sein will.

Also, liebe Männer, erfindet euch neu, feiert das Weicheier-tum, und wenn ihr an Grenzen stößt, werdet ihr viele Verbündete finden. “Butch”e Lesben, Menschen überall auf dem Gender-Spektrum, Frauen, die gängigen Schönheitsidealen nicht entsprechen oder solche, die sich diesen verweigern, und und und. Ganz zu schweigen von all den anderen Fronten gegen verkrustete Vorstellungen. Wir kämpfen gemeinsam.

Ihr seid nicht allein.

Wie Ulrich so schön in seinem Text sagt:

„Männer sind wirklich ein verdammt spannendes Geschlecht, mal sehen, was noch draus wird.”