Was geht
In, mit, trotz, wegen der Pandemie
Bei mir nicht viel, dieser Tage. Obwohl – oder vielleicht auch weil – in diesen Zeiten so viel neu gedacht, neu bewertet werden kann.
Geht von zu Hause aus arbeiten? Auch als Lehrer*in? Geht das, Kinder Karriere Küche, unter diesen Umständen? Geht nicht vielleicht noch ein wenig mehr Arbeitsteilung und Gleichberechtigung, und etwas weniger Perfektionismus? Wieso geht es stattdessen für viele zurück in die Rollenverteilung der 50ger? Wie geht das, in einem Lockdown gegen häusliche Gewalt vorzugehen?
von Frederike
Und persönlicher: Geht es, sich zu motivieren, das Kinn über Wasser zu halten, den Mut nicht zu verlieren, angesichts von Diagnosen, Isolation und Todesfällen ohne Trauerfeiern?
Wessen Familien-Gene zu ADHS und Depressionen neigen wie bei mir, mag feststellen, dass das eigene Gehirn auf soziale Isolation… mit Abschottung reagiert. Es geht einfach immer weniger Kontakt, je weniger Kontakt man hat. Gruselig.
Also versucht man, die Latte niedriger zu legen, die Ziele runterzufahren. Okay, also keine 3-4 Messebesuche pro Jahr mit dem eigenen kleinen Verlag, stattdessen das neue Jahresziel 2020: Überleben. Hat geklappt, irgendwie. Und Geduld mit sich selbst: Dann eben keine Politik grad, kein Buch schreiben, kein Haus bauen.
Bloß überleben, so gut es eben geht
Und sich dabei gegen den Abbau der eigenen Möglichkeiten stemmen.
Self Care first, aber nicht die vom Kapitalismus unterwanderte Variante, die im Online-Shopping endet, sondern die mit den Spaziergängen in der herrlichen Natur Mecklenburg-Vorpommerns.
Was dabei erstaunlicherweise gut geht, ist, die totale Ausbremsung zu nutzen, um den Kopf frei zu schütteln und einige Dinge völlig neu zu bewerten, in ungewohnter Radikalität. Statt gedanklich ständig in den USA zu hängen, als könne man dort etwas bewirken, lieber mal mit den eigenen Nachbarn ins Gespräch kommen und sich gegenseitig helfen.
Bei mir hat das direkt in die Katzenstreunerhilfe geführt
Wenn man die erbärmlichen kleinen Stubentiger mit all den Parasiten im Schneeregen nicht mehr ignoriert, sondern übers Füttern langsam wieder Vertrauen in Menschen aufbaut, dann bitten sie einen manchmal irgendwann um Hilfe.
Die Kleine mit den entzündeten Augen ist mittlerweile medizinisch versorgt auf einem Hof. Die Babys der viel zu jung Schwangeren konnten alle gerettet und vermittelt werden, auch wenn die Mama (jetzt kastriert) hier wieder herumstreunert. Der alte Kater mit den Narben und zerrissenen Ohren kriegt immerhin seine regelmäßigen Mahlzeiten – und lässt sich nach Monaten endlich auch streicheln. Den kriege ich auch noch zum Tierarzt. Und „Socke“ mit den weißen Pfötchen wohnt jetzt bei uns.
Einerseits erschüttert es mich, dass die Konsequenzen von unkastrierten Freigängern nicht Allgemeinwissen sind. Andererseits lerne ich selbst dieser Tage nur über TikTok meine eigentliche BH-Größe, Strategien für den inneren Widerstand gegen die Maschine des Kapitalismus, wie diverse Haushaltsgeräte und Verpackungen noch so funktionieren können, und was in meinem Gehirn los ist.
40 Jahre alt musste ich werden, um auch nur von ADHS bei Erwachsenen zu hören, eieiei.
Aber mit neuen Erkenntnissen geht es dann eben auch ganz neu voran
Dass es so nicht weiter gehen kann, dass es eben nicht einfach zurück in das vorherige Normal gehen kann, dass sich etwas ganz fundamental – ja, radikal – ändern muss, und zwar ganz konkret in unserem System: Dass der Kapitalismus nicht funktioniert, geschweige denn das effizienteste aller Systeme sei, diese Erkenntnis scheint sich derzeit mehr und mehr zu verbreiten.
Von daher bin ich mit der Überschrift des neuen Grünen Programms sehr zufrieden:
„Deutschland. Alles ist drin.“ Alles geht.
Aber im Detail fehlt es dann wieder an Radikalität, schleicht sich der Kompromiss schon ein, wo er noch gar nicht hingehört. Ich bin gespannt, wie es am Ende aussehen wird. So oder so ist es jetzt schon das beste Programm, das den Wählenden angeboten wird.
Und was nun mal gar nicht geht, ist gar nicht zu wählen. Also, geht schon, aber wie es der Sträter so schön sagt: Das erklär dann mal deinen Enkeln: Die Grünen konnte man ja nicht wählen, weil der Habeck, der mochte sich selbst so gern reden hören. Und weil, die Baerbock, die hat ja nen Weihnachtsbonus bekommen.
Ja nee.
Aber auch wenn die Grünen bei der anstehenden Wahl durschlagend dazu gewinnen, wäre dieser Erfolg zu spät, um allein zu reichen. 1972 hätte man vielleicht noch politisch unseren gewaltigen Kahn umlenken können.
Ein echter Wandel muss von unten kommen, und aus der Breite
Bei der Katzenstreunerhilfe habe ich zunächst nach oben, in Richtung Bürokratie geschaut: Ordnungsamt und so. Aber die sind nicht mehr zuständig, wenn die Tiere gefüttert und medizinisch versorgt werden, was ich ja tue. Und mehr verlangt das Gesetz halt (noch?) nicht.
Um die Situation aber wirklich zu verbessern, braucht es mehr als das.
Als ich mich weiter umgeschaut habe, habe ich dann in allen kleinen Städten und Orten um mich herum kleine, manchmal winzige Unternehmungen gefunden, die viel weitergehender helfen. Auffangstationen, kleine Vereine, eine wirklich erstaunliche Anzahl von Einzelpersonen. Lauter Leute, die lokal das tun, was sie in ihrem Rahmen der Möglichkeiten gut machen können.
Fragt mal rum, wer bei euch im Umfeld noch alles Streunerkatzen ganz nebenbei mitversorgt, und dabei vielleicht gedacht hat, allein auf weiter Flur zu sein.
Nah bei sich tun, was eben gerade so geht, kann die ganze Situation völlig verändern – und es müssen bei weitem nicht alle aktiv mitmachen.
Ich vernetze mich da jetzt, vielleicht können wir das Katzenleid zumindest in diesem Landstrich schonmal deutlich verringern, vielleicht kann ich mithelfen, dass all diese Einzelpersonen von den anderen erfahren.
Und auch sonst halte ich Ausschau nach den kleinen radikal konstruktiven Initiativen. Da geht sehr viel mehr ab, als man auf den ersten Blick so mitkriegt.
Und statt weiter gegen die Wände der Dinge zu rennen, die halt einfach derzeit nicht gehen, frage ich lieber:
Und was geht bei euch so?
Was habt ihr so hingekriegt in der Pandemie? Oder eben auch nicht? Hat sich die Perspektive ins Lokale, Kleine, vielleicht auch Emotionale verlagert, oder war es bei euch eher umgekehrt?
Geht es vielleicht, das aufzuschreiben und hier zu veröffentlichen? Geht das nur mit „redaktioneller Unterstützung“? Falls ja, sagt Bescheid, wir helfen gerne! Und auch sonst freuen wir uns über jegliche Interessenten!
Und in diesem Sinne: Geht bei euch Montag, der 26. Juli ab 19.00 Uhr für unseren ersten virtuellen Seeweiber-Stammtisch?