
von Thekla Wilkening
Thekla ist Autorin, Mutter, Aktivistin, ... und seit Oktober 2024 unsere Frauenpolitische Sprecherin. Zu einer zukunftsorientierten Frauenpolitik gehört für sie auch, queerfeministische Positionen zu integrieren.

Why do we still have to protest this shit?
Jedes Jahr zum Internationalen Frauentag, bezeichnenderweise längst zum feministischen Kampftag umgetauft, stellt sich die Frage: Warum müssen wir ausgerechnet an unserem Feiertag immer noch auf die Straße gehen? Und zwar nicht mit Handwagen und einem Kasten Bier, sondern mit Schildern, lauten Botschaften und einer geballten Faust in der Luft. Allein die Tatsache, dass dieser Tag kein allgemeiner Feiertag ist, sollte uns wütend machen. Als gesetzlicher Feiertag wurde dieser erstmals 2019 in Berlin eingeführt und 2023 auch bei uns in Mecklenburg-Vorpommern. In den restlichen Bundesländern aber nicht. Wie kann das sein?
Bisher konnten wir uns jahrein, jahraus damit trösten, dass es zwar langsam, aber stetig voran geht: So hat auch die Ampelregierung für FINTA einiges erreicht:
- Nach über 40 Jahren wurde das vom Bundesverfassungsgericht in Teilen als verfassungswidrig eingestufte Transsexuellengesetz abgelöst! Am 01. November 2024 trat das Gesetz für die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) in Kraft und erleichtert es trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen den Geschlechtseintrag sowie den Vornamen ändern zu lassen.
- Am 24. Juni 2022 hat der Bundestag die ersatzlose Streichung des §219a StGB, des sogenannten Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche, beschlossen und damit den Zugang zu Aufklärung und Beratung möglich gemacht.
- Das längst überfällige Gewalthilfegesetz wurde noch kurz vor den Neuwahlen vom Bundesrat final beschlossen: Es stellt erstmals bundesgesetzlich sicher, dass gewaltbetroffene Frauen und Kinder einen kostenfreien Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung haben. Der Bund wird 2,6 Milliarden Euro Unterstützung für die Kommunen aufbringen, denn bis zur Umsetzung ab 2032 gibt es vor Ort noch viel zu tun.
Die Bundestagswahl vor drei Wochen ist jedoch eine Zäsur – über den deutlichen Rechtsruck hinaus, mehren sich die Zeichen des frauenpolitischen Rückschritts. Noch kurz vor der Wahl wurde die Abschaffung des Paragraphen §218, zur Regulierungen von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafgesetzbuches, durch die FDP verhindert: Die Reform wäre historisch gewesen. Schon 2022 stimmten CDU/CSU, FDP und AfD gegen die Aufhebung des §219a.
Auch der Frauenanteil im Bundestag ist gesunken, was daran liegt, dass in konservativen Parteien mehr Männer politisch aktiv sind. Die Daumenregel lautet: Je konservativer die Partei, desto mehr Männer – je progressiver, desto höher der Frauenanteil. Allein die bloße Anwesenheit von Frauen macht aber noch keine Frauenpolitik. Frauenrechte werden erkämpft. Sie sind in konservativen Systemen nicht angelegt. So betonte Nicole Bauer, frauenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Interview mit tagesschau.de zur gescheiterten Reform des Paragraphen §218: “Für mich ist es wichtig, dass wir jetzt keinen Schnellschuss wagen, uns ausreichend Zeit nehmen.”
In den USA erkennen wir ebenfalls einen gender rollback: Am ersten Tag von Donald Trumps Präsidentschaft erließ er eine Verfügung, die festlegte, dass der Staat nur zwei Geschlechter anerkennt: männlich und weiblich, jeweils bei der Geburt zugewiesen. Infolgedessen hat das Büro für konsularische Angelegenheiten alle Anträge auf Änderung des Geschlechtseintrags, Verlängerungen oder Neuausstellungen von Pässen mit einem vom Geburtsgeschlecht abweichenden Eintrag eingefroren. Die Verfügung hat auch die vergleichsweise neue Option X (seit 2022) für nicht-binäre, intersexuelle und nicht-geschlechtskonforme Personen außer Kraft gesetzt. Etwas, das Schauspielerin Hunter Schäfer, wie sie in diesem Video auf TikTok berichtet, zwar mitbekommen hatte, aber nicht glauben wollte, bis sie es mit ihren eigenen Augen sah: Sie beantragte einen neuen Reisepass, seit ihrer Jugend stets mit dem Geschlecht female. Jetzt wurde ein m für male, dem Geschlechtseintrag auf ihrer Geburtsurkunde, eingetragen.
Heute geht es uns wie Hunter: Wir hören und lesen die Nachrichten, wir erkennen die Zeichen, aber die leise Hoffnung, dass es nicht so schlimm kommen wird, bleibt. Wahlkampf ist Wahlkampf, hieß es in letzter Zeit oft. Aber wir sehen die Abstimmungsergebnisse zu den Paragraphen §218 und §219, wir wissen, dass die geplanten Steuerentlastungen der konservativen Parteien nicht auf alleinerziehende Mütter abzielen, wir sehen die Rentenfalle weiblicher Teilzeitbiografien und wir wissen, dass vor allem Frauen von Altersarmut betroffen sind, und und und… Deshalb bleibt uns nichts anderes übrig, als uns weiter zu solidarisieren und zu kämpfen.
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