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Warum ist es so schwer, Gleichberechtigung nicht nur gesetzlich, sondern auch faktisch umzusetzen?

Ein Diskussionsbeitrag

Kinder lernen schon sehr früh, was sich für ein Mädchen/einen richtigen Jungen gehört und an wem und was sie sich orientieren sollten. Und sie lernen früh, dass es für Mädchen extrem wichtig ist, was andere von ihnen denken, dass andere gut finden, was sie tun. Deshalb haben sie dies auch immer im Blick.

von Brigitte

Diese geschlechtsspezifische Prägungen und die daraus resultierende eingeschränkte Wahlfreiheit und Chancengleichheit waren in Westdeutschland seit dem Beginn der „Neuen Frauenbewegung“ Anfang der 1970er Jahre ein wichtiges Thema. (Neue Frauenbewegung in Abgrenzung zu der bürgerlichen und der sozialistischen Frauenbewegung im 19. Jhd., die sich z.B. für das Frauenwahlrecht einsetzten).

Die Themen waren außerdem der Kampf gegen den § 218, also für straffreie Abtreibung, die Forderung nach gleichen Ausbildungschancen für Mädchen und Jungen, gleichem Lohn für gleiche Arbeit etc.

In der DDR waren diese Probleme unbekannt. Niemand dachte, dass Frauen ins Haus und an den Herd gehörten, eine Ausbildung und Berufstätigkeit von Frauen war selbstverständlich und keiner behauptete, dass Kinderbetreuung in staatlichen Einrichtungen schlecht für Kinder sei. Entsprechend groß war die Hoffnung vieler westdeutschen Frauen nach fast schon 20 Jahren nicht sehr erfolgreichen Eintretens für Chancengleichheit, dass mit der Wende die Schwestern aus dem Osten die Gleichberechtigung bringen. Doch die Sozialisation war zu unterschiedlich und das, was die Frauen jeweils im Westen und die im Osten erreicht hatten, erschien als selbstverständlich und wurde nicht besonders wertgeschätzt.

Von allen wurden jeweils nur die eigenen Themen und Probleme gesehen und davon gab es mehr als genug.

Im Westen war gerade mühevoll erkämpft worden, dass Frauen gesehen und auch in der Sprache benannt wurden und nun kamen die Frauen aus der DDR und bezeichneten sich selbst als Lehrer, Ingenieur, Maschinist etc. Da fiel bei manchen Westfrauen schon die Klappe.
Viele Westfrauen glaubten noch, dass Mädchen und Frauen sich nicht für Mathematik und Technik interessieren, aber auf jeden Fall Teilzeit arbeiten wollten. Und Ostfrauen waren Techniker und Ingenieure, hatten durch die Wende z.T. ihren Job verloren, wurden auf Sekretärin oder Physiotherapeutin umgeschult und manche trösteten sich damit, dass sie nun mehr Zeit für ihre Kinder hatten und eine Doppelbelastung mit hartem Zeitplan los waren. Eine Verständigung war sehr schwierig – und warf die Forderungen nach Gleichberechtigung wie auch bereits erreichte Gleichberechtigung leider sehr stark zurück.

Es gab Tagungen, wo sich West- und Ostfrauen austauschten, nach gemeinsamen Zielen suchten. Es gründete sich z.B. die „Frauenbrücke Ost-West“, ein überparteilicher Frauenzusammenschluss, die bis heute besteht. Die Frauen trafen sich abwechselnd in Ost und West, Süd und Nord, um sich gegenseitig ihr Umfeld zu zeigen und sich darüber auszutauschen „Wie wir wurden, was wir sind“ – aber zu sagen hatten Frauen in West noch Ost nicht mehr viel, waren in politischen Gremien unterrepräsentiert oder/und hatten einfach andere Themen als Gleichberechtigung. Nur bei Bündnis 90/ Die Grünen gab es Parität, aber diese Partei war noch klein.

Zu berücksichtigen ist vor allem auch, dass es „die“ Frauen und „die Frauenthemen“ nicht gab und nicht gibt.

Schon in den Frauenbewegungen im Westen waren die Unterschiede sehr groß und die Vorstellungen von
Gleichberechtigung sehr heterogen. Studentinnen hatten andere Themen und Ziele als Gewerkschafterinnen, autonome Frauen in Frauenzentren andere als Frauen in Mütterzentren etc. und es gab immer ein heftiges Gegeneinander. Der Kampf zwischen den Frauen um die Anerkennung der je eigenen Identität kostete viel Kraft. Frauen – zumindest damals im Westen – brauchten (und wollen auch heute noch offensichtlich viel stärker als im Durchschnitt Männer und vielleicht auch mehr als die Ostfrauen) die Zustimmung, dass der von ihnen gewählte Weg der einzig richtige ist. Für viele Frauen im Westen bedeutet Karriere oft Verzicht auf Kinder oder die ständige Rechtfertigung, dass sie trotz Kinder in ihrem Beruf funktionieren und ihre Kinder trotzdem nicht vernachlässigen. Und sie sind für Harmonie zuständig – das gehört zu einer Frau, sonst ist sie zickig, hysterisch, uncool, unweiblich … Diese Anforderungen schwächen und machen unsicher. Selbstbewusst und mit Selbstvertrauen aufzutreten fällt da schwer.

Entsprechend fühlen Frauen sich (ich denke bis heute) schnell angegriffen.

Deshalb fällt es auch leicht, sich über sie lustig zu machen. Sich-Lustig-Machen ist grundsätzlich eine bewährte Abwehrstrategie. Solange ich mich z.B. über ‚weibliche Sprache‘ lustig mache, verhindere ich eine Auseinandersetzung mit den Inhalten. Wenn Gleichberechtigung nicht gewollt wird, z.B. aus Angst etwas abgeben zu müssen, Privilegien zu verlieren u.ä., ist es einfacher über Frauen und ihre komischen Ideen zu spotten als sich auf eine Diskussion einzulassen.
Und die gegenseitige Unterstützung von Frauen lässt häufig zu wünschen übrig. Zum einen, um sich selbst nicht in Gefahr zu bringen, auch verspottet zu werden, zum anderen sind Frauen auch oft eher Konkurrentinnen um Anerkennung als Verbündete. Was dazu beiträgt, dass die „männlichen Normen“ und „die männliche Berufsgestaltung“ die anzustrebenden bleiben.

Für einen erfolgreichen Kampf um wirkliche Gleichberechtigung kommt es darauf an, mit dem System der Zuschreibungen nach Geschlechtern („Frauen sind …, wollen …, Männer können dies besser/nicht …) zu brechen, sich aus dem Schema der Zweigeschlechtlichkeit zu befreien. Vor allem ein Aufgeben der ständigen Bewertungen und der Orientierung an von außen gesetzten Normen würde zu mehr Selbstbewusstsein und evtl. innerer Ruhe und Selbstvertrauen führen.

Frauen könnten sich zusammen besser für ihre Rechte einsetzen.

Es ist bekanntlich hilfreich und leichter sich gemeinsam für die eigenen Ziele einzusetzen,
wenn man sich nicht von dummen Sprüchen oder gut gemeinten RatSCHLÄGEN verunsichern
lässt. – Wir arbeiten daran!