Mit dem eigenen Körper in Frieden und Harmonie durch das Leben wandern klingt nicht nur gar nicht so einfach für die meisten Frauen. Es ist ein revolutionärer Akt.
von Frederike
Ich wohne noch nicht so lange im Osten. Ich bin zwar an der Ostsee aufgewachsen, aber “drüben”. Und mit jedem neuen Sommer hier in Mecklenburg, mit jedem weiteren Strandbesuch, bei dem ältere Ehepaare je eine Badehose tragen und sonst nix, oder sich Leute abtrocknen, im Stehen ausziehen und dann wieder anziehen, wird das normaler: Ach ja richtig, Freikörperkultur und so. Und ich fühle mich weniger schwabbelig und unwohl, während ich mich im Sand sitzend umziehe.
Erstaunlich schön, die meisten Leute. Aber auch ganz schön unschön, einige. Na und?
Sind doch alles nur Körper
Die meisten von uns sind sich der Tatsache bewusst, dass wir konstant von unerreichbaren Schönheitsidealen umgeben sind. “Selbst Models sehen nicht aus wie Models”, das ist mittlerweile recht bekannt. Und was als “Fitspo” – Fitness Inspiration – so im Internet herumfleucht, ist meist erschreckend gephotoshopt.
Das betrifft Männer wie Frauen, letztere in unserer aktuellen Gesellschaft jedoch deutlich stärker.
Nicht nur gibt es die Forderung an Frauen, schön zu sein. Sollten sie dem Ideal entsprechen oder nahe kommen, dürfen sie sich dieser Tatsache dann bitte nicht bewusst sein, sondern sollen bescheiden bleiben. Daraus erwachsen Gespräche, in denen Frauen sich gegenseitig erzählen, was sie an ihren Körpern hassen, und sich dabei im wohligen Gefühl suhlen, sich gemeinsam “korrekt” zu verhalten. Es springen auch Songtexte dabei heraus wie “You don’t know you’re beautiful, that’s what makes you beautiful.” … buäärgs.
Das wirklich Unheimliche dabei ist, dass diese Schönheitsstandards auf das Begehren von Männern abzielen. Schön genug ist, welche „er“ nicht von der Bettkannte schubsen würde. Gut aussehen tut ein Kerl, wenn andere Kerle so aussehen wollen wie er.
Gut zu beobachten ist das in Comiczeichnungen, die Frauen sexy darstellen und Männer als aufgedunsene Muskelprotze. Objektifizierung auf allen Seiten, tönen die Männerrechtler. Der Schönheitswahn betrifft uns alle!
Beides jedoch sind “Ideale”, die sich am männlichen Blick orientieren.
Auch ein schönes Beispiel: Hugh Jackman als Wolverine – Zielgruppe Männer – versus Hugh Jackman in romantischen Filmen oder auf dem Cover von Frauenmagazinen – Zielgruppe Frauen.
Die Wurzel des Übels ist also wieder einmal toxische Maskulinität
Achtung: Nicht Männer sind das Problem, sondern die Prinzipien der überall in unserer Gesellschaft verankerten “Toxischen Maskulinität”, hier insbesondere die daher rührenden Forderungen an unsere Körper. Leiden tun dann beide unter diesen Idealen, Männer wie Frauen.
Essstörungen, Fitnesswahn etc. sind die bekannten Folgen.
Subtiler ist die zugrunde liegende Folge: Ein genereller Unfriede im Verhältnis zum eigenen Körper, der in Hass ausarten kann. Dazu kommt eine Prise des Verständnisses von menschlichen Körpern der frühen Industrialisierung, das uns immer noch verfolgt: Der Körper als biologischer Maschine.
Wer schon einmal einen Burnout hatte oder an einem vorbei geschrammt ist, kennt die Forderung an sich selbst bzw. den eigenen Körper nur zu gut: Wieso funktioniere ich denn nicht einfach!
Wenn ich Diätfutter oben rein tu und täglich zwei Stunden auf dem Laufrad stehe, dann hat gefälligst das Schönheitsideal erreicht zu werden und dieses Pensum an Arbeit zu klappen!
Körper sind aber nun mal keine Maschinen
Und unser westliches Verständnis von Körper versus Geist ignoriert völlig, was die östlichen Philosophien schon lange zu greifen versuchen: Wir haben genau so viele Synapsen im Bauch wie im Kopf. Körper und Geist sind eine Einheit, greifen ineinander, beeinflussen einander nicht nur, sondern arbeiten zusammen.
(Da ist er wieder, der “Arbeits”-begriff. Scheußlich. Vielleicht besser: Sie leben zusammen?)
Die Gegenmittel? Self Care, Body Peace, Self Love
Die Self Care Revolution hat gerade in der letzten Zeit kräftig an Fahrt gewonnen. Body Peace, „Körperfriede“ ist dabei die Abkehr vom schwindelerregenden Schönheitswahn und dem Zwang, den eigenen Körper zu kontrollieren.
Die schwarze Feministin Audre Lorde schrieb 1988, während sie gegen Krebs kämpfte:
“Caring for myself is not self-indulgence, it is self-preservation, and that is an act of political warfare.”
“Mich um mich selbst kümmern ist nicht Genusssucht, es ist Selbsterhalt, und damit ein Akt politischer Kriegsführung.”
Sich wohlfühlen in einer Welt, die einem dies zu verbieten versucht, ist Rebellion. Zu leben und zu sein, wie und wer man ist, ohne auch nur zu versuchen, den Standards zu entsprechen, die einem auferlegt werden, ist ein brutaler Kampf gegen das System – ein feministischer Kampf auch insofern, dass dieses Verhalten gegen die Rolle der Frau streikt, die als „Caregiver“ allen „Care“ geben soll, nur nicht sich selbst.
Self Care bedeutet dabei unter Umständen Schokokuchen zum Abendessen (und Frühstück am nächsten morgen). Es kann aber auch bedeuten, sich jetzt dazu zu zwingen, wenigstens noch einen kleinen Spaziergang zu machen, statt weiter leicht gekrümmt am Schreibtisch zu sitzen. (Uhm, bin gleich zurück).
Self Care bedeutet zu erkennen, was die eigene körperliche und mentale Gesundheit braucht, um erhalten oder so weit es geht erreicht zu werden und diese Schritte dann auch zu gehen.
Erstaunlich schwierig, sich um sich selbst zu kümmern!
Nicht nur werden Frauen immer noch von klein auf darauf getrimmt, sich zunächst um andere zu kümmern. Allein schon die richtigen Signale von Körper und Geist zu bekommen und dann korrekt zu interpretieren kann erschreckend schwer sein!
Jahrelang habe ich für Süßigkeitenjanker gehalten, was schlicht Durst war. Ganz im Ernst.
Wenn diese Yoga-Übung jetzt gerade total weh tut, ist das Dehnungsschmerz und im Grunde eine gute Sache, oder bastele ich mir gerade eifrig einen baldigen Bandscheibenvorfall? Ist da dieses wohlige Surren im Kopf, weil ich so richtig viel schaffe beim Arbeiten oder überdeckt der Arbeitsflow gerade lustig zugrunde liegende katastrophale Erschöpfung? Oder ist das bloß der vierte Kaffee von eben?
Dem eigenen Bauch und Hinterkopf wieder zuhören zu lernen, kann Jahre dauern.
Und es funktioniert nur, wenn man sich dazu entscheidet, sich als Team zu betrachten.
Ich, meine dicken Oberschenkel, meine schwitzigen Hände vor wichtigen Meetings und das mulmige Bauchgefühl, das mir ab und an den Appetit nimmt: Wir sind ein Team.
Meine Ungeduld ist meist ein Signal: Du hast übrigens echt Hunger. Iss mal was. Meine fetten Schenkel tragen mich tapfer hierhin und dorthin, treten in die Pedale und stampfen ins Trampolin. Mein nervöser Bauch ist vielleicht eine nervige Zicke, was frische Zwiebeln und Hülsenfrüchte angeht, aber hui kann der toll frühzeitig erkennen, wenn ich voll auf einer falschen Fährte bin auf der Arbeit.
Das eigene Echsengehirn als eigenes inneres Kind an die Hand nehmen, den eigenen Körper wie ein geliebtes Haustier füttern und pflegen und zu Arztterminen zwingen, das muss sein.
Wir müssen Frieden mit dem eigenen Körper schließen
Wenn es irgend geht, sollte Self Care und Body Peace sogar in Self Love münden: Selbstliebe. Nicht narzisstische Selbtsverliebtheit, sondern die nachsichtige, augenrollende, potentiell sanft führende Liebe, die man auch für Kinder oder Haustiere oder nahe Freunde und Familienmitglieder aufbringen würde.
Du hattest ’nen harten Tag? Na komm, Pyjama, Eiscreme, Star Wars.
Du hast morgen ’ne wichtige Präsentation und bist noch nicht fertig vorbereitet? Okay, dann leg mal nochmal los, auch wenn’s schon spät ist. Aber nur so lang, dass du noch ordentlich schlafen kannst.
Und wenn Körper oder Geist versagen, wenn gegen die Industrialisierungsforderung des Funktionierens verstoßen wird? Dann gilt das erst recht.
Bei all den positiven Botschaften gibt es jedoch zwei Fallen zu beachten:
Die erste Falle: Self Care wird auch kommerzialisiert.
Solange wir den Idealen hinterherhecheln, kann man toll Profit aus uns schlagen. Dies muss auf den Teller, das ins Gesicht, jenes ans Handgelenk, dann klappt das schon mit der Schönheit / Fitness.
Was allen revolutionären Bewegungen der Neuzeit irgendwann passiert, geschieht auch mit Self Care: Self Care ist, dieses Produkt zu verwenden (und vorher zu kaufen)!… sagt die Werbung.
Da gilt es also, scharf zu beobachten: Klar kann es mal Self Care sein, nicht selbst zu kochen oder neue, heile Unterwäsche zu kaufen. Shopping an sich ist jedoch nicht Self Care.
Die zweite Falle: Self Care ist nicht Egoismus.
Wenn Milton Friedman und Ayn Rand sagen, Eigennutz wäre die bestimmende Motivation des menschlichen Handelns, liegen sie nicht nur (mittlerweise erwiesenermaßen) generell falsch, sie arbeiten sogar gegen das Prinzip Altruismus, das uns Richtung Glücklichsein führen kann.
Self Care ist von einem selbst für einen selbst. Aber was, wenn unsere Bedürfnisse mit denen anderer kollidieren? Ein Klassiker: Das Kolleg*innenteam kann man doch nicht im Stich lassen!
Wer allerdings die eigenen Ressourcen ohne Rücksicht auf Nachhaltigkeit ausschöpft, schadet nicht nur sich, sondern langfristig auch genau diesem Team – und sogar dem Arbeitsgeber, selbst wenn es kurzfristig so aussieht, als würden alle außer einem selbst dazugewinnen. Burnouts kosten richtig Geld, und sind “ansteckend” in einem Team.
Self care ist nicht nur gut für einen selbst, sondern auch für alle drumherum.
Wenn im Flugzeug die Sauerstoffmasken runterfallen, wen soll man zuerst versorgen? Richtig, sich selbst. Nur dann kann man anderen wirklich sinnvoll helfen.
Die Idee, dass allen geholfen ist, wenn sich alle selbst helfen, greift natürlich völlig zu kurz. Aber wenn wir unsere Ressourcen nicht darauf verwenden, uns zu kasteien und zu versuchen, unser Aussehen an externe Standards anzupassen, was können wir dann alles mit der eingesparten – dann positiv aufgeladenen – Energie anfangen? Natürlich ist es wiederum auch Aufwand, den Kampf gegen die eigenen Gedanken- und Verhaltensmuster aufzunehmen. Aber am Ende bleibt mehr Energie übrig als verbrannt wird, und das was man verbraucht, verbraucht man für ein positives Ziel, statt für etwas, das einen weiter auslaugt und erschöpft: Selbsthass.
Self Care beschränkt sich dementsprechend also nun nicht nur auf Body Peace. Mentale Gesundheit spielt eine riesige Rolle. Aber mit Body Peace anzufangen ist für viele schon erstmal Herausforderung genug und setzt enorme Energien frei.
Direkt mit der Bopy Peace-Bewegung verknüpft sind die Bewegungen für Food Peace und die gegen Fatshaming – welch Wunder, lauert doch hier der häufigste Selbsthass-Grund. So genannte „Body Positivity“-Beispiele sind häufig fette oder dicke Frauen.
Na, hat wer gezuckt, dass ich das fiese Wort “fett” verwendet habe? Fette Frauen auf der ganzen Welt versuchen sich das eigentlich faktische Wort wieder zurück zu erobern und es als schlichten Beschreiber statt als Schimpfwort zu empfinden.
Dabei rutscht die Bewegung – wie auch unser aller Hirne – gerne immer mal wieder dahin ab, das geltende Schönheitsideal auf fette Körper erweitern zu wollen.
Das ist auch durchaus sinnvoll – als Kind z.B. eine großformatige Werbung mit einem Körper wie den des Stars aus „Orange is the New Black“ Danielle Brooks zu sehen, hätte für mich so einiges normalisiert und damit völlig entstresst.
Besser wäre es jedoch, sich von den Schönheitsidealen ganz zu verabschieden.
Wie geht man das jetzt aber praktisch an?
Abgesehen von direkten Aktivitäten – ein Bad nehmen, ein Tagebuch führen etc. – gilt es, zwei zugrunde liegende Prinzipien zu verfolgen: Positive Self Talk und Rituale.
- Einerseits müssen wir also dem Dauerfeuer der negativen Botschaften positive, vielleicht sogar liebevolle Botschaften an uns selbst entgegensetzen.
- Andererseits sollten Verhaltensmuster aktiv eigene, neue Rituale entgegengesetzt werden. Statt Kalorienzählen und täglichem Wiegen lieber einen Wecker stellen, um alle 20 Minuten vom Schreibtisch aufzustehen oder eine Liste führen, damit man auch wirklich genug trinkt pro Tag.
Nebenbei: Kalorienzählen und Wiegen mag für den einen oder die andere medizinisch notwendig sein, und wer ein kaputtes Knie hat, sollte jetzt eher nicht alle 20 Minuten eine Kniebeuge machen. Dem Schönheitsideal entsprechende Fitness ist grundsätzlich ein Privileg der Gesunden. Self Care dagegen sieht für jede*n anders aus, und ist im Grunde eine schlichte, wenn auch alles andere als einfache Einstellungs-Umstellung.
- Self Care ist, abends in Büchern zu lesen statt im Smartphone (das blaue Licht hält ja wach und so).
- Self Care ist die Katze kraulen.
- Self Care ist drei Flaschen Zuckerwasser in Teller im Wald gießen und Bienen beobachten, bis man die bescheuerte Welt da draußen vergessen hat. (x)
- Self Care ist, sich mal hässlich sein zu lassen und sich trotzdem wohlzufühlen. (x)
- Self Care ist, ein Notizbuch mit dem zu füllen, was man an sich mag, worauf man stolz ist und mit dem, was man sich verzeiht.
Self Care und Body Peace sind eine Revolution, die, wenn wir uns gegenseitig darin bestärken, die Welt verändern kann.
Was ist für euch Self Care? Und wie können wir uns ganz praktisch gegenseitig weiter ermutigen?