Aprés Ski / Müssen nur wollen

„Super Maxi!“

„Veronika, komm: Glei‘ noch amal!“

Ein diesiger Februarmorgen am Hang. Lagenweise in schreiend bunte Outdoor-Kleidung gehüllte und behelmte Zwerge stolpern auf viel zu glatt gewachsten Skiern auf den Schlepplift und pflügen dann – mal mehr, mal weniger elegant – den verschneiten Hang hinunter. Unter den Helmen, zwischen Skibrille und Schal erkennt man verbissene kleine Mienen.

von Anna Maria

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Erst am zweiten Tag des einwöchigen Spektakels fällt mir auf, dass in Bayern ja keine Ferien sind und dennoch alle der am Kurs teilnehmenden Kinder – unser Küstenkind ausgenommen – aus Bayern kommen. Allein an diesem Hang sind es vier Skischulen mit jeweils ebenso vielen Trainingsgruppen und mindestens sechs bis acht Kindern pro Gruppe. Macht mindestens hundert Zwerge.

Und wer liefert all die Maxis und Magdalenas an? Schnallt an und feuert an und ist auch ansonsten allgegenwärtig?

Mama!

Mir fällt die putzige Werbung aus den neunziger Jahren ein: Ein Vorstellungsgespräch. „Und was haben sie bisher beruflich gemacht?“ will der Personaler wissen. Mutter denkt nach: Aufwecken, Brote schmieren, Kinder in die Schule/Kita fahren, Putzen, Wischen, Kochen… Sie lächelt: “Ich führe eine sehr erfolgreiches, kleines Familienunternehmen…“

Sie sind nett, wirklich. Ich bin schließlich eine Exotin.

„Was? Mei da seid‘s ja TAUSEND Kilometer hergfahre!“

Ganz genau. Sind wir. Weil unser Kind eben seit zwei Jahren darauf wartet, einen Skikurs machen zu dürfen. Also friere ich mir hier meinen, selbstverständlich ungeübten, Flachland-Tiroler-Hintern ab und staune. Staune nicht nur über die Mengen an Schnee, die Fahrkünste der Kinder und nicht zuletzt über die engagierten Mütter mit zwei, drei oder mehr Kindern die ihren Nachwuchs spätestens mit Vollendung des dritten Lebensjahrs auf Bretter stellen und dann mit vier die ersten roten Pisten mit ihnen hinunterjagen wobei Nummer zwei oder drei notfalls hinten in der Manduca mitfährt. Mir wird allein vom Anblick schwindelig.

Und dann frage ich mich doch.

Was arbeiten die? Und vor allem WANN arbeiten die?

Es ist ein Reflex den ich einfach nicht unterdrücken kann. Vielleicht liegt es an mir: Baujahr `80 – DDR.

Zwei Tage später in Berlin. Eine verkrümelte Tagesspiegel-Ausgabe liegt auf dem Frühstückstisch. Nicht mein bevorzugtes Druckwerk. Aber Hatice Akyüns Kommentare lese ich gern. Also los. „Alte Rollen, neue Probleme“ klingt viel versprechend. Nicht, dass die hier besprochene Studie zur Rollenbesetzung in deutschen Filmen – kaum überraschend – wenig Erbauliches in punkto Geschlechtergleichstellung offenlegt. Aber dann fällt es mir plötzlich wie Schuppen von den Fischkopp-Augen:  In Bayern gibt es, neben dem Kinder- und Elterngeld das sogenannte ‚Familien- bzw. Erziehungsgeld‘.

Sofort googele ich nach. Und tatsächlich:

Unabhängig von ihrem Einkommen erhalten Familien für jedes Kind – zusätzlich zum Kindergeld – Erziehungsgeld in Höhe von 250,-Euro pro Monat und Kind. Ab dem dritten Kind sind es sogar 300,-Euro. Laut Information des bayerischen Familienministeriums soll damit

„die erzieherische Arbeit der Eltern gewürdigt werden“.

Aha. Wessen Arbeit doch gleich?

Die Autorin des Artikels jedenfalls bemerkt bissig, dass sich die Zahnarztgattin gewiss freut, dass der Geigen- und Cellounterricht für Maximilian und Sophie vom Staat finanziert wird.

Das ist sie also – die Herdprämie.

Wenn ich an die versammelten Super-Support-Mamis denke, scheint sie zu wirken. Dass bayerische Kinder in PISA Studien fast immer weit vor denen aus MV, Schleswig-Holstein, Bremen etc. liegen – geschenkt.

Und dann komme ich ins Grübeln. Ich bin eine emanzipierte Frau. Zumindest glaube ich das. Aber mal ehrlich:  Hätte ich diese ‚Prämie’ vielleicht auch, zumindest kurz, in Anspruch genommen? Und, ganz vielleicht, ein oder zwei mehr kernige Buben oder Maderl in die Welt gesetzt? Mit Zeit und Geld ist vieles anders.

Was bedeutet Geld, wenn es in Zeit umgemünzt wird? Mehr Freiheit?

Freiheit bedeutet schließlich Freiheit zu wählen. Auch wenn frau alles kann, muss sie es nicht. Die Vorstandsetage ist hart umkämpft. Und nicht jede* möchte dorthin. Aber wollen wir alle ‚nur‘ an den Herd und die best-möglichen Mamis sein?

Wie definiere ich also Freiheit? Und wie buchstabiere ich die Mutterrolle? Als Mutter-Rolle, die ich nur phasenweise einnehme, weil es eine biologische Tatsache ist? Oder als Mutterrolle in der ich vollkommen aufgehe und für die ich mich geboren fühle?

All das hat nicht nur mit Bayern zu tun. Sind wir hier oben im Norden so viel besser? So viel moderner?

Schön wäre es. Schließlich sind wir fast immer die einzige Familie mit nur einem Kind. Das provoziert fast immer Nachfragen. „Habt ihr noch eins geplant?“ Oh, ach so! Na wie gut, dass das Kind so aufgeschlossen ist und sich schnell mit anderen anfreundet, also als Einzelkind …naja…

Und warum überhaupt erst so spät Kinder? Ja, dann ist es natürlich schwieriger.

Das sei doch nicht gut für die Kinder…Zu viel Wahlmöglichkeiten, ja ja.

Früher bekam man die Kinder früher und überhaupt…

Wie viele von diesen unsäglich ermüdenden Gesprächen habe ich schon geführt? Ich habe aufgehört, zu zählen.

Doch was mich wirklich dabei stört, ja sogar irritiert, sind nicht die Fragen und Andeutungen. Nein. Es sind fast nie oder nur selten Männer und ältere Leute, von denen ich solche Sätze höre. Nein. Meist sind es Frauen. Und meist genau jene, von denen ich dies nicht erwartet hätte:  Frauen mit guter Ausbildung oder Studium. Kritische, bewusst lebende Menschen mit ökologisch-sozialer Prägung. Wieso dann diese Fragen???

Sollten wir nicht alle frei wählen können? Lebenswege sind verschieden. Ja. Aber was noch mehr zählt: Wenige Pfade auf der verworrenen Landkarte des Lebens beschreitet der Mensch frei von Druck und äußeren Zwängen. Gefühl und Erfahrung sagen mir, dass Frauen diese Pfade noch sehr viel seltener frei und wirklich unabhängig wählen und gestalten. Dass das System uns in starre Muster und Rollen presst, wissen wir im Grunde unseres Herzens. Aber dass wir uns selbst bei der Erfüllung vermeintlicher Pflichten zu übertrumpfen und auszustechen versuchen, erlegt uns niemand auf.

Vielleicht bin ich keine Übermutter, Super-Mami, Tiger mom, wie sie von den Zeitschriften und zahlreichen Mami-Blogs glänzt. Ich scheitere täglich.

Am perfekten Äußeren:  Weder Mutter noch Kind kommen falten- und flecklos in den Tag und schon gar nicht aus ihm raus;

der blendend sauberen, liebevoll dekorierten Häuslichkeit mit – nachhaltig gestalteten! – Bastelecken und kunstvoll drapierten Werken des kleinen Wunders;

perfekt geplanten Motto-Parties und sorgsam orchestrierten Play-dates;

vollständig sinnvoller Freizeitbeschäftigung (wenn sie vollständig sinnvoll wäre, wäre es ja schließlich keine FREIZEIT-beschäftigung dude!);

der perfekten Ernährung;

und und und…

„Wir müssen nur wollen“ sang Judith Holofernes einst so schön melancholisch.

„Ich kann mit allen zehn Zehen in zwanzig Türen

und mit dem elften in der Nase, Ballette aufführen

aber wenn ich könnte, wie ich wollte,

würde ich gar nichts wollen,

ich weiß aber, dass alle etwas wollen sollen…“

MÜSSEN wir*? Müssen wir wirklich nur wollen?

Ich habe ein neues Hobby. Es ist ganz einfach: Ich träume. Oder besser:  Ich entwickele Wünsche, Ideen und Vorstellungen. Immer wenn ich im Kopf kurz woanders bin. Darüber, wie es in der Welt meines Kindes – in zehn oder zwanzig Jahren – aussehen wird mit den Geschlechter-Rollen. Was er/sie/* dann noch für den Lebensweg eines Menschen bedeuten.

In den fünf Minuten zwischen wach werden und wach sein beim Morgen-Espresso träume ich. Zwischen aus-der-Tür und in-der-Kita und auf-der-Arbeit. Ich philosophiere darüber, was danach kommt:  nach ‚sie‘ – nach ‚muss‘ und ‚soll‘.

Après she. Willkommen im Club der Visionär*innen!