Er ist wieder da: Anti-Feminismus in Deutschland

Mädels lehnt euch zurück: Wir haben es fast geschafft. Fast alles erreicht. Fast gewonnen. Echt jetzt! …Oder auch nicht: Der Anti-Feminismus in Deutschland bedroht alles bisher Erreichte.

von Sonja

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Wir haben gleiche Rechte: haben das Wahlrecht, kontrollieren Geburten, haben alles im Griff, können selbst entscheiden, wie wir leben und wen wir lieben. Schule bestens absolviert, Studium mit links beendet, Karriere spielend gemacht. Deine Tochter will Bundespräsidentin werden? Klar, gar kein Problem! Alles bene, bestens, bombe. Herrlich! Alles, wofür unsere Schwestern in den letzten zwei Jahrhunderten kämpften: erledigt. Mein Bauch gehört mir, meine Chancen, mein Leben. Alles unter meiner Kontrolle. Klar, es gibt zwar noch hier und da ungleiche Bezahlung, hin und wieder greift ein Kerl der Dame seines Begehrens ungefragt an den Po, aber geschenkt, das kriegen wir auch noch hin, oder?

Aber aufgepasst, Schwestern im Geiste, so wie es aussieht, haben wir zwar viel erreicht, aber noch  lange ist nicht alles sicher.

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Wenn wir jetzt nicht aufpassen, ist alles wieder futsch

Steile These, ich weiß, aber es stimmt!

Beim Blick ins Wahlprogramm der AFD zur Bundestagswahl 2017 nämlich wurde mir plötzlich mulmig. Vielleicht sollten wir doch wachsamer sein als gedacht, kritischer und kämpferischer. Vielleicht ist der Kampf noch gar nicht gewonnen. Vielleicht verlieren wir, wenn wir nicht aufpassen, alles, was uns lieb und teuer ist und was uns in unserer Wohlfühlblase schon gar nicht mehr so wertvoll erschien.

Aber von Anfang an:

Die AFD ist ja ein Männerverein, das ist bekannt. Auch würde jede von uns vermuten, dass der es mit den Frauenrechten und der Emanzipation nicht so ernst nimmt.

Wenn frau aber recherchiert, was dieser Männer-Clan so vorhat. Mannomann.

Augen auf und Ohren angelegt!

Der AFD geht es nicht mehr nur um den Euro und auch nicht nur um das Stoppen der Flüchtlinge…

Sie ist inhaltlich breit aufgestellt und in sich stabil. Sie hat es in 13 Länderparlamente geschafft, ins EU-Parlament auch und so, wie es aussieht, wird sie es im September ein- oder zweistellig in den Deutschen Bundestag schaffen.

Die innerparteilichen Strömungen sind es, die dieser Partei eine so stabile Basis verleihen.

Die erste Gruppe ist die der marktradikalen Euroskeptiker. Zu ihnen gehörte Parteigründer Bernd Lucke, der aber bereits die Partei verlassen hat. Dazu gehören auch Alice Weidel, Spitzenkandidatin, Frauke Petri, (noch) Bundessprecherin und Alexander Gauland, Spitzenkandidat. Freier Markt, Wertekonservatismus, Unabhängigkeit von der EU, Neoliberalismus und Abschaffung des starken Staats sind Ziele dieser Gruppe.

Längst hat sich die Partei aber weiterer Themen bemächtigt: Asyl und Migration, Nationalismus, Islamfeindlichkeit. Mit Xenophobie, der Angst vor dem ethnisch-kulturellen Wandel, machen die Jungens Welle. Auch Björn alias „Bernd“ Höcke gehört zu dieser Gruppierung. Er zählt zu den Ultra-Rechten, den völkischen Nationalisten. Gauland gibt in dieser komplizierten Gemengelage den Vermittler, wenn Höcke rhetorisch die völkische Propagandakeule schwingt und Petri (verbal) abrüstet, um stärker das bürgerliche Lager zu bedienen.

Nicht zu vergessen ist die PEGIDA-Bewegung, die in der AFD ihren parlamentarischen Arm sieht und deren Mitglieder sich aus dem Kleinbürgertum rekrutieren. Ganz anders sieht es bei der Neuen Rechten aus: Dieses ist eine Gruppe der „intellektuellen“ Rechten, die eher studentisch geprägt ist und sich sowohl in der Hipster-Szene tummelt als auch in sozialen Netzwerken. Mit der Verbindung zu literarischen Vorbildern wie Ernst Jünger und Oswald Spengler vermittelt sie ihren Anhängern eher ein avantgardistisches und modernes Lebensgefühl. Hip eben oder anders ausgedrückt: hip-rechts. Fürchterlich.

Sie alle eint die Sehnsucht nach einem Staatsvolk, das sich aus sich selbst heraus reproduziert und sich stolz und stark von anderen (nicht nur europäischen) Nationen ethnisch und ökonomisch abgrenzt.

Ihr Schlachtruf lautet: Freiheit!

Die AFD bietet aber auch politisch rechten Christen Unterschlupf. Diese hatten sich schon lange vor der Gründung der Partei in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts als sogenannte „Lebensschutzbewegung“[1] etabliert. Hierbei handelt es sich um christlich-konservative Kreise, zu der auch die Europa-Abgeordnete Beatrice von Storch zählt. Ziele sind u. a. die Abschaffung der Abtreibung,  das Verbot der Sterbehilfe und die Beendigung der Praktizierung der Pränatal-Diagnostik. Auch hat sie die sogenannte „Gesteigberatung“ etabliert, die Frauen vor dem Besuch von Schwangerschaftskonfliktberatungseinrichtungen regelrecht abfängt und belästigt. In dieser Gruppe sind sowohl katholische als auch evangelische Christ*innen aktiv. Sie greifen immer stärker in die Programmatik der AFD ein, wie dem Wahlprogramm entnehmen ist.[2]

Die letzte und meines Erachtens gefährlichste, aber auch unbekannteste Gruppe, die sich der AFD angeschlossen hat, ist die Gruppe der Maskulinisten. Die selbsternannten „Männerechtler“ wenden sich ganz offen gegen den von ihr ausgemachten „Staatsfeminismus“, sie fordern Männerrechte ein und treten für ein geändertes Scheidungs-, Sorge- und Unterhaltsrecht ein.[3]

Was heißt das alles nun konkret für uns Frauen und für alle gleichstellungsbewegten Menschen?

Die geschlechter- und familienpolitischen Positionen der AFD lesen sich wie ein Rezeptbuch von zu kurz gekommenen mittelalterlichen Hexenmeistern

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Große Angst haben die Ewig-Gestrigen vor dem „Selbstabschaffen“[4], dem Aussterben des „deutschen Staatsvolkes“. Dem wollen sie sich mit folgenden erschütternden Maßnahmen entgegenstemmen:

Etablierung eines Ministeriums für Bevölkerungsentwicklung (sic!). Ziel ist es, die Erhöhung der Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung nach wissenschaftlichen Kriterien zu koordinieren (sic!) Die Kriterien möchte ich sehen…

Förderung der heterosexuellen Mehrkinderfamilie durch finanzielle Anreize (Ehekredite, Bafoeg-Erlass bei Geburt eines Kindes während des Studiums[5]) Gab’s schon. Hab ich mal im Geschichtsunterricht gelernt. Grusel…

Abwertung geschiedener Menschen und hier insbesondere alleinerziehender Frauen. Gibt es schon. Kenn‘ ich aus eigener Erfahrung. Wird dann wohl noch schlimmer…

Maßnahmen gegen Abtreibung. Schwangerschaftskonfliktberatung soll dann ausschließlich dem Schutz des Lebens (des Fötus, nicht des Lebens der Mutter) dienen, soll also nicht mehr ergebnisoffen sein. Eine Haltung, die wir aus der sogenannten „Beratungspraxis“ der katholischen Kirche kennen.

Um diese Positionen gesellschaftlich stärker zu verankern, setzen die „Fachleute“ der AFD auf folgende familien- und gesellschaftspolitische „Lenkungsmaßnahmen“:

Die heterosexuelle Familie soll das Leitbild des „deutschen Staatsvolkes“ sein. Die Leitbilddebatte haben wir ja schon, da kann der Seehofer lustig mitschunkeln…

Die Lebensform „alleinerziehend“ ist „Privatsache“[6], soll aber eben auch nicht mehr staatlich finanziell unterstützt werden.

Das Schuldprinzip im Scheidungsverfahren soll wieder eingeführt werden, um Scheidungen zu erschweren. Das bedeutet, dass Frauen, die ihren „ehelichen Pflichten“ nicht nachkommen, sich somit „schuldig machen“, nach einer Scheidung keinen Unterhalt bzw. staatlichen Unterstützung mehr bekommen sollen. Die AFD nennt das in ihrem Programm die „Unterstützung der ehelichen Solidarität“[7]. Vergewaltigung in der Ehe wird dann sicher auch wieder als nicht existent erklärt. Auch das wird dann vermutlich der ehelichen Solidarität zugerechnet, die notwendig ist, um das Staatsvolk zu mehren. Wie krass!!!

Dabei gilt die Maxime der elternnahen Betreuung von Kindern. Die CSU-Herdprämie hat sich in die AFD-Programmatik eingeschlichen oder etwa doch umgekehrt?!

Vätern sollen nach der Trennung mehr Rechte eingeräumt werden, da sie ja – ach so heftig- unter der zurzeit herrschenden unterdrückerischen rechtlichen Praxis leiden, die ihnen angeblich den Umgang mit ihrem Kind erschwert.

Zur Erinnerung: Jede dritte Ehe wird geschieden, ein Großteil der Kinder lebt daraufhin weiterhin bei den Müttern, während sich wiederum ein großer Teil der Väter nicht um das Umgangsrecht schert und zudem den Unterhalt verweigert.

Was wollen also diese Maskulinisten, die Männerrechtler?

  1. Frauen die Schuld für die Trennung in die Schuhe schieben,
  2. rechtmäßig keinen Unterhalt zahlen
  3. ein Umgangsrecht erhalten, das ihnen alle Rechte, aber keinerlei Pflichten auferlegt.

Meine Sorge: Diese „populären“ und frauenfeindlichen Maßnahmen wird der AFD massenhaft „ungerecht behandelte“ Väter als Wähler bescheren und dann… Gnade Göttin!

„Anerkannte Regeln“ zu Partnerschaft und Familie, Haushaltsführung (sic!) und Kindererziehung und Lebensschutz sollen in Lehrplänen und Schulbüchern vermittelt werden. [8]

Die Praxis der modernen Sexualpädagogik und die Darstellung von vielfältigen Familienmodellen an Schulen werden als „Umerziehungsprogramm“ von Kindern bezeichnet. [9] So würden Kinder zum Spielball der sexuellen Neigungen von Minderheiten, sie würden frühsexualisiert und letztlich würde so das bewährte traditionelle Familienbild beseitigt.

Last but not least: Die Genderforschung und –wissenschaft sollen komplett (!) abgeschafft werden.

Gendersensible Sprache? Unnötig. Wird auch abgeschafft. Fertig.

Sogar Gleichstellungsbeauftragte soll es nicht mehr geben, die unterschiedliche Bezahlung  von Männern und Frauen (Gender-Pay-Gap) wird nicht mehr thematisiert. Ist eh alles nur eine Frage der Leistung. Es gewinnt der Stärkere. Alle diese „sinnlosen Vorhaben“ der Gleichmacherei verschwendeten nur Steuern und dienten dazu, die natürliche Geschlechterpolarität zu negieren. [10]

Fazit:

Was sich liest wie ein Auszug aus dem Mittelalter-Rezeptbuch eines dementen Zaubermeisters, wird Realität, wenn die AFD in den Bundestag einzieht.

Anti-Feminismus, wohin frau schaut: Alle Rechte, die über Jahrzehnte erstritten wurden, stehen zur Disposition.

Nun könnte frau behaupten, dass es sich bei der AFD ja nur um eine Minderheitenpartei handele und die schrägen Vögel ja in naher Zukunft  keine Regierungsverantwortung übernehmen würden, da sie zurzeit von keiner Partei als koalitionsfähig angesehen würden.

Schauen wir aber auf die gesellschaftliche Vernetzung der Mitglieder der AFD und ihrer Sympathisant*innen,

schauen wir auf die Haltungen von katholischer Kirche zu Abtreibungspraxis, zu  „Lebensschutz“,

schauen wir auf die Ideen der Evangelikalen in der protestantischen Kirche, die immer größere Mitgliederzahlen generieren,

schauen wir auf die Haltung der CSU und auf Teile der CDU zur „Herdprämie“,

schauen wir auf die rückwärtsgewandte Haltung vieler Parlamentarier*innen unterschiedlichster Parteien zur Frauenquote,

schauen wir auf die mangelhafte Unterhaltszahlungspraxis vieler Millionen Männer in Deutschland,

so wird deutlich, dass sich die geschlechter– und familienpolitischen Positionen der AFD Unterstützer*innen  auch in unterschiedlichen anderen politischen Lagern finden.

Und das, liebe Frauen, ist Grund zur Sorge vor einem möglichen Rollback, der sich gewaschen hat!

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Selbst wenn die AFD (jetzt noch) nicht Regierungsverantwortung übernehmen wird, so trägt sie doch ihre frauenfeindliche, völkische, Vielfalt verachtende Programmatik vermutlich ab Ende September in die Mitte unseres Parlamentes. Und das ungestraft und demokratisch legitimiert!

  • Homosexuelle müssten sich wieder gesellschaftlich stigmatisiert in die Unsichtbarkeit flüchten.
  • Abtreibungen müssten wieder heimlich und unter großen Risiken im Ausland durchgeführt werden.
  • Geschiedene Frauen müssten stigmatisiert und unter noch größeren Nöten als bisher ihre Kinder durchbringen, wenn sie ihnen aufgrund ihrer Ehe-„Schuld“ nicht ganz weggenommen würden.
  • In den Schulbüchern würden wir lesen von Regeln der guten weiblichen Haushalts- und Eheführung.
  • Schwule, lesbische und Transgender-Menschen würden zusätzlich stigmatisiert, weil sie nicht ihre biologische Pflicht zur Vergrößerung der Abstammungsgemeinschaft erledigten.

Das alles liest sich wie ein anti-feministisches Regelwerk von Männerbündlern. Ist es auch. Das steht so im aktuellen Wahlprogramm der AFD.

Was aber, wenn dieser Konjunktiv nun ein Indikativ wird? Wenn aus Möglichkeit Wirklichkeit wird? Und aus Wirklichkeit vielleicht sogar Befehl? Das möchte ich mir nicht vorstellen, da wird mir schlecht. Daher heißt es, dieser frauenverachtenden Programmatik von Anfang an kämpferisch zu begegnen. Wir sollten die Ziele der „Neuen Rechten“ kennen, über sie  sprechen, sollten die daraus resultierenden Gefahren für uns Frauen öffentlich machen, ja, und diese auch auf die Straße tragen.

Am 16. 9. 2017 ruft die sogenannte „Lebensschutz-Bewegung“ in Berlin zu einer Demonstration, zu einem „Schweigemarsch für das Leben“, auf. Schon letztes Jahr kamen unter gleichem Motto ca. 5000 Menschen zusammen, um das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen populär zu machen und gegen queere Menschen zu hetzen.

Dagegen setzt sich eine Queer-Feministische Demonstration zur Wehr

Unter dem Motto: „Marsch für das Leben stoppen“ treffen sich Unterstützer*innen

  • am 16. 9. 17
  • um 10.30
  • am Wittenbergplatz in Berlin

um gewaltfrei und mit bunten Aktionen ein Zeichen gegen die Ziele des Schweigemarsches zu setzen.

Weitere Infos: whatthefuck.noblogs.org

Wir können dem möglichen Rollback etwas entgegensetzen. Aber bevor wir das tun können, müssen wir uns informieren.

Denn wir haben viel erreicht, viel gewonnen, aber jetzt, so scheint es, steht alles wieder auf dem Spiel. Allein das Bewahren des Status Quo wird zukünftig ein Kraftakt werden. Deswegen ist jetzt nicht die Zeit für ein gemütliches Zurücklehnen. Vom Sofa aus lässt sich der Feminismus nicht bewahren und weiterentwickeln. Leider. Ich denke, es kommen unbequeme Zeiten auf uns zu. Aber das Kämpfen gehört ja zu unseren Stärken. Da sind wir ja gut drin.

In diesem Sinne: Rücken gerade machen! Für unsere Rechte einstehen. Widersprechen. Es gibt viel zu verlieren, aber auch viel zu gewinnen: unsere Selbstbestimmung!

[1] vgl. https://www.fuer-das-leben.de/lebensschutzbewegung/l. (letzter Aufruf 10. 8. 2017)

[2] vgl. Wahlprogramm AFD, S. 39

[3] ebd. S. 38

[4] Sicher in Anlehnung an: Sarrazin, Thilo: Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen, DVA, 2010

[5] vgl. Wahlprogramm AFD, S. 40

[6] vgl. ebd. S. 38

[7] ebd.

[8] vgl. S. 37

[9] vgl. s. 41
[10] ebd.

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Frauen in die Küche? Okay… da sind die Messer…